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Eine Tasse Wasser für Dein Charisma

Mit Mitte 20 hab ich ein Jahr lang intensiv geraucht. Ich schrieb an meiner Magisterarbeit, und die Zigarette wurde zu meinem Anker, zu meiner Tagestruktur. Ich geh jetzt was einkaufen, aber vorher rauch ich noch eine. Ich schreib jetzt weiter. Aber vorher rauch ich noch eine. Die Liste ist unendlich. Zum Glück hab ich mich gerade noch rechtzeitig vor dem endgültigen Suchtverfall in einen wunderschönen Franzosen verliebt, der Raucherküsse hasste.Eindrücklich geblieben ist mir die bittersüße Erinnerung an die erstaunlich unabdingliche Priorität der Zigarette. Egal was passierte. Egal ob die Welt um mich herum zusammenkrachte – jetzt erst mal rausnehmen und ein tiefer Zug. Das verschaffte mir, auch im größten Chaos, regelmäßig kurze Momente, in denen alles innehielt und ich die Möglichkeit hatte – wenn auch auf ungesunde Weise - zu mir zu kommen.



Wie sehr ich mir genau das wünsche, wenn ich heute mal wieder durch die Tage stolpere, übergangslos von einem Telefonat zur nächsten Mail, vom Essen zur Seminarvorbereitung, in der hoffnungslosen Hoffnung mit allen Anforderungen und meiner To-Do-Liste irgendwie mithalten zu können (die aber wundersamerweise im Laufe des Tages nicht weniger,  sondern länger wird). Meinen Mitmenschen, die gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit im deutlich spürbaren Land-Unter-Modus sind, scheint es nicht anders zu gehen. Und nicht nur dass mir dieser Zustand auf mein Wohlbefinden schlägt und meine Laune, sondern er wirkt sich auch negativ aus auf meine Präsenz, meine Kommunikation: Ich stelle Fragen mehrmals, weil ich davor nicht richtig zugehört habe, weil ich mit dem Kopf woanders bin. Ich vergesse zurückzurufen, hab weniger Geduld. Mein Gesicht ist angespannt und mein Mund verkniffen, weil ich so damit beschäftigt bin, alles unter Kontrolle zu halten. Und ich bin viel weniger mit mir selbst verbunden. Dabei ist es genau das, was wir bei Menschen wahrnehmen, die wir als charismatisch empfinden. Sie scheinen, ganz unaufgeregt, bei sich zu sein.


Auf meine verzweifelte Frage hin, wie man denn nun sein Leben am besten plant, damit man dann auch zentriert, gelassen und ja, charismatisch und präsent sein kann, hat mich vor ein paar Tagen eine erfahrene Coachin und frühere Zeitplanungstrainerin nur milde angelächelt und abgewunken. Vergiss Planung, sagt sie. Unsere Zeiten sind unplanbar. Wir sind im kontinuierlichen Notfallmodus. Und allein die Tatsache, dass Du Dich dem stellst, macht Dich zur Heldin. Es geht, was geht.


Seitdem fühl ich mich irgendwie besser (auf Anfrage vermittle ich die Coachin gerne weiter).

Hab ich doch allen Ernstes geglaubt: Irgendwann, wenn ich das Chaos endlich bezwungen habe, wird alles gut. Jetzt dämmert mir, es wird nie aufhören. Es ist nur mal megachaotisch, und dann mal mittelchaotisch. Es scheint also darum zu gehen, den Sturm um sich herum toben zu lassen und mittendrin eine Insel der Ruhe zu finden.


Da kommt mir doch gleich die altbekannte Empfehlung in den Sinn, den Tag doch mit Meditation zu beginnen. Find ich sehr einleuchtend und attraktiv. Und es funktioniert bei mir: gar nicht. Bei dem Versuch, nach dem Aufstehen stillzusitzen und Gedanken loszulassen, schreit jede meiner Zellen: Bist du wahnsinnig??? Fang an, sonst hast du gar keine Chance!  Und wenn ich es mal geschafft habe, dann geht mir die Erinnerung an die schöne Entspanntheit nach spätestens 2 Stunden wieder flöten. Ich brauche also was für zwischendurch, so wie die regelmäßige Zigarette - aber in Version gesund.


Also hab ich es mit Minimeditation probiert: 1 Minute hinsetzen, nix machen, atmen. Funktioniert auch nicht. Ich fühl mich einfach total doof, wenn um mich herum der Bär tobt und ich sitz einfach so rum und mache nix. Auch meine Umwelt scheint dafür nicht so richtig Verständnis dafür zu haben. Also hab ich es mit einer Aktion verbunden, mit etwas, was ich eh tue (bzw. tun sollte): Trinken. Und nach ein paar Tagen Selbstversuch sind die Ergebnisse vielversprechend:


Eine gigantische Teetasse - da gehen 500ml rein - ist jetzt meine ständige Begleiterin. Ich fülle sie mit heißem Wasser (es geht natürlich auch andres, aber heiß ist gut) und umfasse sie mit beiden Händen. Lasse die Wärme der Tasse durch meine Finger in den Körper fließen und stelle mir vor, wie sie sich dort ausbreitet. Ich nehme einen Schluck, halte das Wasser kurz im Mund und schlucke dann. Während das Wasser die Kehle hinunterrinnt, verflüssigen sich in meiner Imagination auch meine Knochen und alle Anspannung in meinem Körper (klingt komisch? Wir bestehen eh zum größten Teil aus Wasser!). Zwischendrin lehne ich die Tasse leicht an mein Brustbein und nehme wahr, wie sie sich mit jedem Atemzug auf- und ab bewegt. Manchmal wiege ich mich dabei kaum wahrnehmbar ein wenig hin und her. Manchmal brumme ich kaum hörbar einen tiefen Summton, genau in die Stelle hinein, an der die Tasse meine Brust berührt. Dauert nur wenige Augenblicke.


Ich finde das alles erstaunlich tröstlich. Ich hab für einen Moment das Gefühl, nicht der Welle hinterherzurennen, sondern einfach da zu sein, wo ich gerade bin, und damit in Frieden zu sein. Und mich streift eine Ahnung, dass all das, was ich sonst für so wichtig halte, es gar nicht wirklich ist. Manchmal kommt ganz unwillkürlich ein tiefer Seufzer.


Ich mache das 4mal am Tag (macht insgesamt 2 Liter😊). Oder auch weniger. Oder mehr. Zum Beispiel bei einem Übergang von einer Tätigkeit zur nächsten. Oder ganz extra genau mittendrin im höchsten Chaos. Und nach ein paar Tagen etabliert sich langsam nahezu ein Zigaretten-Rhythmus: Muss unbedingt die Agentin anrufen. Aber vorher noch ne heiße Tasse. Jetzt die Coachingstunde vorbereiten. Aber erstmal das heiße Wasser. Übrigens werden diese Minibreaks auch von meiner Umwelt besser akzeptiert – sie trinkt ja, muss ja jeder!


Wenn Du noch was drauflegen willst, kannst Du die Tassenpause dann auch dafür nutzen, Dich an bestimmte Dinge zu erinnern, die Du Dir vorgenommen hast, und die sonst im Alltag ganz schnell untergehen. Das kann eine Gewohnheit sein (zum Beispiel die Stirn nicht immer in Falten legen, wenn ich konzentriert bin). Oder wenn Du was für Deine Kommunikation und Deine Ausstrahlung tun willst und die myCharisma-Arbeit kennst: die „Raumkugel“ oder die „Telefonzelle“ wieder präsent machen. Oder gleich nach der Tassenpause mal wieder üben, ab und zu auf Punkt zu sprechen, anstatt endlose Schachtelsätze zu machen….


Schreibt mir, um mir zu erzählen, welche Erfahrungen ihr mit den Tassen-Minibreaks macht! Ich beginne jetzt meinen Tag und stürz mich auf meine To-Do-Liste. Aber natürlich nicht ohne vorher noch…. Ihr wisst schon 😊

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