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Blinde Flecken erhellen - oder: die schwierige Kunst Frieden zu üben

Aktualisiert: 31. Okt. 2023


Ich war nie wirklich politisch sehr engagiert. Weil meine Überzeugung ist, dass alles, was im Außen, im Großen passiert, im Kleinen, in uns selbst, seinen Spiegel, wenn nicht seinen Ausgang hat. Und ich glaube, meine persönliche Kraft liegt mehr darin, auf dieser Ebene zu agieren, um in mir und in anderen womöglich, hoffentlich, Transformation zu entzünden.


In diesem besonderen Zeitmoment fühle ich eine Dringlichkeit, aus meiner Innenrichtung etwas herauszutreten, mich gründlicher zu informieren und in irgendeiner Weise einen Standpunkt kundzutun. Manchmal geht Nichtssagen nicht, ohne sich schuldig zu machen. Aber abgesehen davon will ich trotzdem wieder vorschlagen, nicht einfach nur den Blick auf die anderen zu richten, sondern – weil ja alles verbunden ist – uns selber unter die Lupe zu nehmen und zu vollziehen – oder zumindest zu versuchen -, was wir von anderen verlangen. Gleich vorweg: diese Übung ist sauschwer.


Neulich hatte ich einen bitterlichen Streit mit meiner Schwester. Und ich habe mich sehr missverstanden und ungerecht behandelt gefühlt (sie bestimmt genauso). Sie hat mir dann noch auf spöttische Weise (die mir die Sache nicht leichter gemacht hat) eröffnet, dass ich einen bestimmten Satz desöfteren sagen würde (der bleibt geheim), der sie schon am Anfang unserer Gespräche auf die Palme bringen würde. In mir spreizte sich alles dagegen. Niemals käme das so aus meinem Mund. Und schon war ich wieder kurz davor, meine Stimme zu erheben, dagegen zu sprechen, mich aufzuregen. Und dann habe ich plötzlich gedacht, so hört es nie auf. Und: wenn ich es schon nicht schaffe, mit meiner Schwester, die ich liebe, wie soll es dann im Großen gehen. Ich glaube, dieser glasklare Gedanke war es, der mir in diesem Moment die Kraft gegeben hat, ruhig zu sagen (und ich habe keine Ahnung, woher plötzlich diese Formulierung kam): „Der allergrößte Teil in mir sträubt sich anzunehmen, was Du sagst, weil ich sicher bin, dass es Unsinn ist. Aber eine kleine Stimme in mir weiß, dass wir alle, also leider auch ich, blinde Flecken haben, und Dinge tun, die uns selber nicht klar sind. Und du wirst einen Grund haben, warum du es sagst. Also werde ich in mich gehen und das für mich prüfen.“ Dieser Satz, der mich unendlich viel Überwindung gekostet hat, zweierlei bewirkt: ein überraschendes Weichwerden auf Seiten meiner Schwester, und im Nachhinein eine überraschende, nein, peinliche, Selbsterkenntnis: Ich sage diesen Satz tatsächlich. Natürlich wird es nicht immer so laufen. Das Ganze lässt sich nicht einfach als Technik einsetzen, um den anderen oder sich selbst zu manipulieren. Aber für mich fühlt es sich alleine schon gut an, meinen automatische Reaktion unterbrechen zu können. Es fühlt sich selbstbestimmter an. Und lässt Raum für VIEL mehr konstruktive Möglichkeiten.


Mir hat in dem Moment geholfen zum einen die klare Erkenntnis, dass es hier jetzt um etwas viel Größeres geht als nur um einen Streit zwischen zwei Schwestern. Zum anderen der Gedanke, dass auch wenn ich zunächst etwas annehme, um es mir in Ruhe anzusehen und zu überprüfen, noch nicht heißt, dass ich „klein beigebe“ und einverstanden bin. Nein sagen und abwehren kann ich dann immer noch. Und außerdem eine kleine verspielte Lust daran, einfach mal anders zu reagieren.

Mich würde interessieren, wie es euch ergeht, wenn ihr dieses schwierige Experiment macht und freue mich sehr über Kommentare und eure Erfahrungen. (unter dem Artikel oder an mich privat)

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